Story

Wie wir am Tag des Qualifikationsspiels Deutschland-Portugal im Wettersteingebirge wanderten und die Zugspitze nur von unten sahen

Icon1. Tag

Der Zug von München nach Garmisch-Partenkirchen ist am 6.9.97 ziemlich voll, wer in Pasing noch zusteigt, muß schon Glück haben, um einen Sitzplatz zu bekommen. In Garmisch steigen wir um in Richtung Reutte in Tirol, und haben den ganzen Triebwagen alleine - Alle fahren nach Garmisch oder Mittenwald.

In Untergrainau steigen wir aus, wo sofort am Bahnsteig Seidl's Stüberl mit Brotzeiten und Paulaner Bier lockt. Weil wir ja vernünftig sind, und außerdem noch nichts getan haben, schauen wir hinauf zur Zugspitze und machen uns auf zum Höllental. Wir wollen die Straße vermeiden, und landen erst mal auf einer Wiese, wo es nicht mehr weitergeht. Zum Glück finden wir ein kleines Loch im Zaun (das hinterher ein klein wenig größer zu sein scheint?) und können uns über eine Eisenbahnbrücke (das ist unvernünftig und VERBOTEN!) auf die richtige Fährte retten.

Der Anfang ist immer am schwersten.

Am Eingang zum Höllental begegnen uns viele Urlauber mit Sandalen, nach einigen Metern Anstieg zur Höllentalklamm lassen wir viele von ihnen hinter uns... (ich muß meine Jacke ausziehen). Die Klamm kostet 3,- DM Eintritt, und wer drin war, weiß auch warum: Tunnel. Ein großer Teil des Weges durch die Klamm verläuft in kühlen Tunneln, die in die Felsen gehauen wurden (ich muß meine Jacke wieder anziehen). An zahllosen Stellen sind Aussichtsbalkone gebaut worden, die eine tolle Aussicht auf das tobende Wasser in der Klamm gestatten. Im oberen Teil wird es freier und der Weg trifft sich mit einem zweiten Weg, dem Stangensteig, der oberhalb der Klamm verläuft (ich muß meine Jacke wieder ausziehen). An der Höllentalangerhütte (1379 m) sind ein Radlermaß und eine Suppe fällig. Der Himmel zieht zu (Jacke an). Von der Terrasse vor der Hütte aus sehen wir den Weg zur Zugspitze und den Steig über die Waxensteine, beide verschwinden nach oben in die Wolken.

Weil wir ja vernünftig sind, lassen wir die Zugspitze wo sie ist, und biegen links ab, auf den Knappensteig. Der Knappensteig ist teilweise recht steil (Jacke aus) und erlaubt uns durch die Wolken herrliche Blicke auf Garmisch-Partenkirchen und das darumherumliegende Bayern. Auch die Höllentalangerhütte taucht noch mal zwischen den Wolken auf, sie ist nun weit unten und klein. In der Wanderkarte sind am Knappensteig die Knappenhäuser als bewirtschaftet eingezeichnet. Es gibt aber nur eine Bank, wo wir einen Schluck aus der Flasche nehmen (natürlich Wasser). Unsere Karte war wohl nicht mehr aktuell. Der Wind wird kühler und ich muß meine Jacke wieder anziehen. Bei den Knappenhäusern befindet sich ein verlassenes Bergwerk, wo im ersten Weltkrieg in 1500 m Höhe Molybdän abgebaut wurde, wohl für Munition. Wir laufen weiter und sinnieren noch über den Wahnsinn des Krieges als es anfängt zu Donnern. Natürlich keine alte Munition, sondern ein Gewitter im Wetterstein. Wir wollen noch schnell übers Hupfleitenjoch und in die nächste Hütte. Unsere Schritte werden größer und schneller, ich muß meine Jacke nochmals schnell ausziehen. Es rumpelt. Ein Blitz? Kurz vor dem höchten Punkt, dem Hupfleitenjoch, blitzt es wirklich und der darauffolgende Donner schüttet Hagelkörner über uns aus. Schnell ziehe ich noch meine Jacke an, aber für die nagelneue unbenützte Regenhose blieb keine Zeit mehr. Hagel und Regen waren schneller, die Jeans ist naß. Halb gebückt zischen wir an den Blitzen vorbei übers Hufleitenjoch und zur Hochalm hinunter. Als wir unten an der Hochalm ankommen, schaut auch schon fast die Sonne wieder durch. Die Kellnerin ist sehr nett "Den Bernadeinweg kenn ich nicht, ich bin ja erst seit 3 Monaten hier, ich frag mal nach", und während eines vorzüglichen Kaiserschmarrns hängen unsere Jacken und meine Jeans am Kachelofen. Nein, ich sitze nicht in kurzen Unterhosen da, ich habe noch blaue Skiunterwäsche zum Wechseln dabei.

Es bleibt wolkig und gewittrig, und weil wir ja vernünftig sind, lassen wir die Alpspitze, wo sie ist, und biegen links ab, auf den Bernardeinweg. Ein wunderbarer Weg ins Reintal hinunter. Das Wetter klart auf und wir sehen das Reintal und die Wettersteinwände, ich ziehe die fast trockene Jacke wieder mal aus. Im Reintal fließt nicht der Rhein, und auch nicht der Rain, sondern die Partnach. Im Tal wartet die Bockhütte auf uns, mit Ihrem Mittenwalder Bier und den dazugehörigen Biertischen. Die letzten Sonnenstrahlen verschwinden hinter den Gipfeln (Jacke an) und wir entschließen uns, als Abendprogramm zur Reintalangerhütte (1366 m) zu laufen. Auf dem breiten Weg begegnen wir am Abend nur noch wenigen Mountainbikern und einem Motorradfahrer mit seinem Hund. Der Hund läuft nicht neben dem (ziemlich stinkigen) Zweitakt-Motorrad her, sondern liegt auf dem Tank. Er sieht nicht hundertprozentig glücklich aus, aber das wirkt vielleicht auch nur so, wegen der inzwischen hereinbrechenden Dämmerung.

Die Reintalangerhütte ist gut gefüllt; wir bekommen noch Platz; können Jacken, Hosen, Schuhe usw. zum Trocknen hinhängen; Bier, Rotwein, Braten, Nudeln sind lecker; die Leute an unserem Tisch nett, und ein Tag mit wechselhaftem Wetter im Wetterstein endet gemütlich beim Erzählen von Berg- und Talabenteuern.

Ach ja: Deutschland spielte an dem Tag gegen Portugal in der WM-Qualifikation . Ein netter Herr aus Gladbeck mit FC-Bayern T-shirt hatte ein Ohr immer am Miniradio und meldete wichtige Ereignisse wie Tore, rote Karten und den Endstand (1:1) in die laufenden Unterhaltungen.

Icon2. Tag:

Morgens weckt uns der Wirt mit Hausmusik - "live" aus der Gaststube. Ein Blick aus dem Fenster reicht nur etwa 30 Meter weit in den weißgrauen Nebel hinein und es scheint zu nieseln. Daher haben wir und alle Anderen beim Frühlstück viel Zeit und die Tagesplanung zieht sich bei einem weiteren Kaffe in die Länge. Einige wollen nur noch sofort zurück nach Garmisch-Partenkirchen, andere zum Schachen und der nette Herr aus Gladbeck plant eine zweistündinge Tagesetappe bis zur Knorrhütte, er hat Urlaub und braucht sich bei so einem miesen Wetter im Wetterstein nicht zu beeilen.

Die "Abendzeitung" war über Nacht sehr flink - nein, es gibt noch keinen Spielbericht vom gestrigen Länderspiel - eine Ausgabe vom August hat schnell und gündlich meine Schuhe getrocknet. Die Regenhose kommt zum Einsatz und im grauweißen Nebel traben wir recht lustlos los. Die Beine und mein Kopf fühlen sich so an, als hätte ich gestern zwei Kästen Apfelkorn getrunken, dabei waren es nur zwei Viertel Rotwein. Vielleicht liegt es an den jetzt größer werdenden Regentropfen und dem ins dunkelgraue bis hellgraue getönten Nebel. Über Geröll gehts aufwärts zum Partnachursprung, die links und rechts sich auftürmenden Felswände schauen immer nur kurz hervor. Inzwischen habe ich eine Regelmäßigkeit im Wetter entdeckt: Ein ständiger Wechsel beginnt mit hellgrauem Nebel und fast keinem Regen bis Nieselregen, geht über in Wind mit aufsteigenden mittelgrauen Wolkenfetzen und fast keinem Regen und größeren Tropfen und endet mit stärker werdendem Regen und anschließenden herabfallenden dunkelgrauen Wolken, die zu hellgrauem Nebel werden. Dazu passen das hellgraue Geröll auf dem wir laufen, und die dunkelgrauen bis mittelgrauen Wettersteinfelsen. Zum Glück haben wir jeder einen Flachmann dabei. Ich schaue nach oben und sehe einen Feldabsatz. Vielleicht ist von dort aus mehr zu sehen? Nein, immer wenn ich an dem vermeintlichen Absatz angekommen bin schaue ich nach oben und sehe einen Felsabsatz. Vielleicht ist von dort aus mehr zu sehen? usw... Als sich meine Unlust zwei Stunden lang angesammelt hat ("warum muß ich hier nur rumlatschen, ich könnte bei einem prima Sonntagsfrühstück zuhause sitzen"), erscheint rechts oben am Rand die Fahne der Knorrhütte (2052 m).

Durch den Keller, wo wir die nassen Sachen lassen steigen wir in die warme Stube. Wir sind die einzigen Gäste, ich höre die Wirtin am Telefon, die letzten Gäste der letzten Nacht waren grade vor uns weg. Die Knorrhütte wird pro Saison nur dreimal vom Hubschrauber versorgt und einmal entsorgt. Es regnet mal wieder stärker und wir trinken unsere Apfelschorlen in aller Ruhe, die Wanderkarte vor uns ausgebreitet. Da wir ja vernünftig sind, lassen wir die Zugspitze wo sie ist, und biegen links ab, unser Plan lautet "Am Mittag essen wir Kaiserschmarrn in Österreich". Als wir in den ganz feinen Nieselregen hinaustreten, kommen uns die nächsten Gäste entgegen, die armen Hüttenwirte haben keine fünf Minuten Ruhe. Vorbei an zwei kleinen Privathütten laufen wir am Hang entlang und bleiben in etwa auf einer Höhe. Rechts erheben sich dunkelgrauschwarz und regennaß die Wettersteine und links schaue ich nicht so genau hin, wo die Bergflanke steil ins Reintal abfällt.

Nach einer Rechtskurve haben wir plötzlich und unerwartet die Grenze zwischen Tirol und Bayern vor der Nase: Das "Gatterl". Ich hatte mir einen Bergsattel vorgestellt, oder ein Joch, das Gatterl heißt. In Wirklichkeit ist das Gatterl eines dieser Almgatter, die mit Eigengewicht oder Feder wieder zurückfallen, damit keine Rinder durchkommen. Ganz im Geiste des Schengener Abkommens ist an dieser Stelle weit und breit kein Zöllner zu sehen, und ohne Ausweiskontrolle erreichen wir die Almen des Leutaschtals. Das Gatterl ist nicht nur die Grenze zwischen Tirol und Bayern sowie zwischen Deutschland und Österreich, sondern auch zwischen felsigem Gebirge und Geröll auf der bayrischen und Wiesen mit Kuhfladen auf der tiroler Seite. Über Wiesen, Latschen Matsch und Fladen geht der Weg es ein paarmal auf und ab, an einer Stelle werde ich freudig von einem Rind begrüßt. Es mag wohl meine rote Regenhose? Das Tier folgt mir noch eine ganze Weile bis ein steiles Schotterstück die Liebe zur roten Hose erkalten läßt. Die Wolken reißen jetzt stärker auf und die gewaltigen Felsen der Miemiger Kette tauchen manchmal kurz vor uns aus dem mittlerweile hellgrauweißen Waschküchenwetter auf.

Je tiefer wir Absteigen, um so brauner wird die rote Regenhose an den Beinen. Der Nebel wird immer dichter und an der Ehrwalder Alm sieht man kein Licht. Erst als wir noch 10 Meter vom Eingang entfert sind, können wir erkennen, daß geöffnet ist. Wir sind nicht die einzigen, aber mit Abstand die schmutzigsten Gäste. Der Kaiserschmarrn ist gut und auf der Forststaße gehts weiter ab nach Ehrwald . Interessanterweise haben hier fast alle Tannen zwei oder mehr Stämme aus einer Wurzel. Matschig und müde kommen wir Downtown-Ehrwald an. Der Zug ist seit 5 Minuten weg, und uns bleiben eine Stunde und 55 Minuten bis zum Nächsten. Natürlich kommt jetzt auch die Sonne durch und seit gestern früh sehen wir zum ersten Mal wieder die Zugspitze. Na ja. Bei Radler und Apfelkuchen lassen wir es uns auf der Terasse eines Cafes gutgehen und beobachten die busweise heranrückenden Sonntag-Nachmittag-Kaffefahrt-Touristen. Sie haben allergrößte Freude an einer Kindstaufe und den Taufkleidchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Unser Zug hatte (natürlich) 5 Minuten Verspätung. Auf der Rückfahrt wurde ich noch von der Nützlichkeit eines Handy's (oder schreibt man Handies?) überzeugt: Aus dem fahrenden Zug heraus konnten wir abchecken, daß am Abend zuhause gegrillt wird. Bei viel Bier und Kottletts und Würstchen waren wir uns abends einig, daß wir eine Super-Tour und ein Klasse-Wochenende hinter uns hatten - obwohl wir keinen Gipfel erstiegen hatten, und die Zugspitze nur von unten sahen.

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Diese private Seite von Thomas Müller wurde am 29. August 2011 zuletzt geändert. Kritik und Kommentare sind erwünscht.

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